Müll in einem Fluss mit einem kleinen Boot

PARTNERS IN SPIRIT: Clemens Feigl, CEO everwave
 

„Für mich ist dichtmachen nie eine Option.“

Clemens Feigl ist CEO und Co-founder von everwave, einem Unternehmen mit Schwerpunkt auf der Verhinderung des Eindringens von Plastik und Müll in unsere Meere, insbesondere durch Flüsse. Die Strategie umfasst Müllsammeln mit smarten Technologien, innovative Forschung und Awareness-Arbeit. Das Team ist vielfältig aufgestellt, es arbeiten dort Umweltschützer*innen, Ingenieur*innen, Biolog*innen, Ökonom*innen und viele mehr, sie alle verbindet das gemeinsame Engagement für den Schutz der Gewässer unseres Planeten.

Kiel-Marketing: Für Segler*innen auf dem Meer sind verlorene Container und treibender Müll eine echte Gefahr. 100 Millionen Tonnen Plastikmüll treiben inzwischen in den Ozeanen, jede Minute kommt das Volumen eines Müllwagens Plastikmüll hinzu. Was kann man dagegen tun?

Clemens Feigl: Es gibt viele Möglichkeiten, etwas dagegen zu tun. Eigentlich sind es vier Ebenen.

Die erste Ebene ist die individuelle, bei der man im eigenen Haushalt schaut, welche Alternativen es gibt. Die Art und Weise, wie wir konsumieren, hat einen sehr großen Einfluss darauf, was produziert wird. Wenn die Nachfrage nach Produkten sinkt, wird es in Zukunft weniger Plastik in den Regalen geben. 

Die zweite Ebene sind die Unternehmen, das ist ein sehr großer Hebel. Das Verpackungsdesign, insbesondere die Verwendung von Mischkunststoffen, ist eine große Herausforderung für das Recycling. Schwarze Kunststoffe oder Mischkunststoffe sind schwer zu recyceln. Die Unternehmen müssen sich fragen: Wie verpacke ich mein Produkt sinnvoll?

Die dritte Ebene betrifft Unternehmen, die nicht auf Verpackungen verzichten können. Sie müssen eine so genannte Extended Producer Responsibility, EPR, übernehmen. Die Verantwortung endet nicht beim Verkauf eines Produkts, es muss seinen gesamten Lebenszyklus umfassen. Wir haben uns ein Problem geschaffen und müssen jetzt erst einmal die letzten 20 Jahre aufräumen.

Die vierte Ebene und aus meiner Sicht der größte Hebel ist die Politik. Gesetze, die den Einsatz von Recyclingmaterial in Produkten vorschreiben oder mehr Verbote von Einwegplastik und das Thema EPR. In vielen Ländern unterstützen Unternehmen bereits lokale Projekte, die dann wieder sauber machen. In Deutschland gibt es das noch nicht. 

 

Ein Anfang, aus dem jetzt besagte 1,7 Millionen Kilogramm geworden sind ...

Wir haben 2018 gegründet und im August 2020 das erste Kilogramm Müll gesammelt. Es war schon eine Reise bis dort hin. Wir mussten Technologien testen, Einsatzorte finden, die zu uns passen, gute Partner vor Ort finden. Das alles hat über zwei Jahre gedauert. Bis heute haben wir 1,7 Millionen Kilogramm gesammelt und das Wachstum ist exponentiell, denn wir verbessern uns immer weiter. Das macht mich zuversichtlich, dass unser Anteil am Tropfen immer größer wird, und zwar jeden Tag.

Clemens Feigl vor einer Mauer

 

Ihr nutzt, so steht es auf eurer Website, „smarte Technologien und innovative Forschung“. Wie findet ihr den Müll? Und wo fängt man da an?

Wir haben weltweit eine ganz gute Brand aufgebaut. Es gibt immer wieder lokale Organisationen, die aber über ein händisches Cleanup ein-, zweimal im Jahr nicht hinauskommen. Aber wenn es engagierte Leute sind, dann suchen sie Unterstützung im internationalen Netzwerk. So haben wir zum Beispiel die Anfrage bekommen, ob wir mit einem unserer Boote nach Kambodscha kommen können. Dann nehmen wir Kontakt auf und machen ein Scouting. Passt unsere Technologie? Wie sind die Partner? Wie ist die Infrastruktur für den gesammelten Müll? Nach einer Evaluierung treffen wir eine wohlüberlegte Entscheidung.

Ihr müsst euch also, zumindest noch, auf sehr erfolgversprechende Projekte konzentrieren.

Wir haben nur eine begrenzte Anzahl von Booten, aktuell drei. Vor Ort kommt dann die von dir angesprochene Technologie zum Einsatz. Wir setzen Drohnen mit einem Bilderkennungsalgorithmus ein. Sie überfliegen eine Region und über den Algorithmus, also die künstliche Intelligenz, können wir die Bilder auswerten und erkennen, wo wir welche Müllzusammensetzung vorfinden. Wir identifizieren die Müll-Hotspots, um unsere Boote so effizient wie möglich einzusetzen.

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„Es gibt Anfragen auf allen Kontinenten, wir können nur nicht überall unterstützen, weil wir nicht genügend Kapazitäten haben.“
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Kiel-Marketing: Gibt es bestimmte Länder, die bereits besonders aktiv sind?

Es gibt eigentlich mittlerweile in jedem Land Menschen, die sich dafür engagieren. Das ist total schön zu sehen. Kleine NGOs oder Privatpersonen, die jeden Tag eine Stunde am Strand laufen und Müll sammeln. Die Awareness ist global da. Aber die Frage ist, wie man das global skalieren kann. Bei dem Team in Kambodscha hatten wir ein sehr gutes Gefühl. Aber 2021 war es während Corona eine herausfordernde Situation, viele Reiserestriktionen. Außerdem ist das Schiff dann erst einmal drei Monate auf dem Seeweg. Das ist ein Risiko für uns: Drei Monate kein Einsatz, und wenn es nicht klappt, drei Monate zurück, das kostet alles Geld. Erfreulicherweise unterstützt uns unser Partner Kühne und Nagel, der Transport kostet uns nichts. Es gibt Anfragen auf allen Kontinenten, wir können nur nicht überall unterstützen, weil wir nicht genügend Kapazitäten haben.

 

Drei Männer recyceln Plastikmüll

 

Wenn ihr mit euren technischen Mitteln so gut erkennen könnt, wo sich der Müll häuft und wie er zusammengesetzt ist, könntet ihr dann nicht auch genau feststellen, von welchem Unternehmen er kommt und gemeinsam mit den Behörden dort direkt ansetzen?

Das ist ein sehr guter Gedanke. Der Algorithmus ist so trainiert, dass wir über 20 verschiedene Plastikarten identifizieren können. Wir können zum Beispiel sagen, das ist eine PET-Flasche, das ist eine Plastiktüte aus LDPE [Low Density Polyethylen], es gibt sehr viele verschiedene Kunststoffarten und es kommen immer mehr dazu. Bei der Bestimmung der Produzenten sind wir leider noch nicht, aber es gibt ja Studien darüber, wer die größten Verschmutzer sind. Wenn du jetzt aus dem Bauch heraus welche nennen müsstest, würdest du wahrscheinlich acht von zehn treffen: Coca Cola, Pepsi, Nestlé und so weiter und so fort. Aber das Engagement der Unternehmen ist überschaubar im Vergleich zu dem, was sie verursachen. 

 

Wenn wir beispielsweise in einem Stausee sechs Millionen Plastikflaschen gefunden haben, dann gehen wir mit dieser Information zur Regierung und sagen, passt auf, wir haben 80 Prozent PET-Flaschen, wenn ihr das Problem in den Griff bekommen wollt, führt ein Pfandsystem ein. Wenn das gemacht wird, das kann ich dir versprechen, wird sich die Situation zwei Jahre später deutlich verbessert haben. 

Aber eine Recyclinginfrastruktur ist teuer, Unternehmen investieren nur, wenn der Business Case aufgeht. Genau das wollen wir liefern. Wir machen mit unseren Daten den Markteintritt für die Unternehmen kalkulierbarer.

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„Als Recyclingweltmeister gehen wir davon aus, dass ein Großteil unseres Mülls recycelt wird. Das ist entspricht aber nicht der Realität.“
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Ihr unterscheidet vier Schritte: Detect, Collect, Recycle, Inspire. Inspire meint dann zwei Wege, in Richtung Unternehmen und in Richtung Individuum?

Hundertprozentig. Unser Interview jetzt, auf der Bühne stehen, Podcasts, das machen wir, um zu sensibilisieren, denn es ist klar, wir werden das Problem in Zukunft nicht über Boote lösen können, wir müssen am Konsumverhalten der Gesellschaft etwas ändern. Bei den Unternehmen haben wir mittlerweile über 100 Partner. Mit denen sprechen wir natürlich über solche Dinge. Wir haben ein Netzwerk, wir haben Beratungsagenturen für Verpackungsprobleme. Nur aufräumen reicht nicht, deshalb auch das Thema Recycling.

In Kambodscha und Thailand haben wir Sortieranlagen aufgebaut, in denen auch lokale Arbeitskräfte für uns arbeiten. Damit ist auch der soziale Benefit groß, denn wir schaffen Arbeitsplätze. Collect und Recycle gehören eng zusammen. Es fordert uns sehr, immer so ganzheitlich zu denken, aber für uns ist es zu kurz gesprungen, wenn wir nur einen dieser Aspekte betrachten.

Neulich gab es einen Artikel über die Plastikverschlüsse an Flaschen, die sich nicht mehr entfernen lassen. Eine Diskussion, die mich überrascht hat. Wenn das ein Thema ist, frage ich mich, wie schwer es ist, Menschen davon zu überzeugen, ihr Verhalten komplett zu ändern. Ist das nicht manchmal frustrierend?

Am frustrierendsten ist es in Deutschland und anderen westlich geprägten, wohlhabenderen Regionen, zumindest aus meiner Sicht. Als Recyclingweltmeister gehen wir davon aus, dass ein Großteil unseres Mülls recycelt wird. Das ist entspricht aber nicht der Realität. Wir sind weit entfernt von den Zahlen, die offiziell kommuniziert werden, wir exportieren sehr, sehr viel Müll, zum Beispiel nach Malaysia oder in die Türkei. Angesichts dieser offensichtlichen Missstände fällt es mir schwer zu verstehen, warum Themen wie Tempolimits auf Autobahnen oft mehr Aufmerksamkeit erhalten als die drängenden Umweltprobleme. Diese Diskussionen wirken angesichts der globalen Herausforderungen leider wenig zielführend.

Sind die Menschen überfordert? Die Welt wird immer komplexer, unvorhersehbarer, volatiler, Klimawandel und Plastikmüll sind etwas, das viele Menschen gerade nicht mehr auf dem Schirm haben, weil sie andere Probleme als drängender empfinden. Bei dem Thema wird wie in einem Überlebensreflex relativ schnell dicht gemacht.

Genau das sehe ich auch so, da gibt es zwei Antworten. Also für mich persönlich ist dichtmachen nie eine Option. Egal wie groß das Problem ist, irgendjemand muss anfangen, es zu lösen. Das Einzige, was ich tun muss, ist, ein wenig Zeit zu investieren und mich zu fragen: Ist das, was ich seit 20 Jahren gemacht habe, noch zeitgemäß? Ich kann selbst entscheiden, wie ich meine Zeit einsetze, was ich wo mache. Irgendwo mit einem kleinen Teil anzufangen, ist ja schon etwas.

Ihr habt bereits viele Unternehmen an Bord und das Team ist seit der Gründung gewachsen, wie finanziert ihr euch?

Wir sind weltweit aktuell etwas mehr als 40, ein Großteil davon im Ausland in den Projekten. Es war von Anfang an unser Ziel, ein funktionierendes Geschäftsmodell aufzubauen, wir wollten nicht von Spenden abhängig sein. Das ist uns auch gelungen. Wir arbeiten weltweit mit Unternehmen zusammen, rund 100 Partner, die Verantwortung übernehmen wollen. Sie können zum Beispiel ihren Müll-Fußabdruck oder den eines Produkts messen. Sie bringen zum Beispiel 100 Tonnen pro Jahr auf den Markt, wissen aber nicht, wo der Müll endet. Aber sie wollen Verantwortung übernehmen und beauftragen everwave, diesen Müll an anderer Stelle wieder einzusammeln. Für einen Euro, den uns ein Unternehmen gibt, sammeln wir ein Kilogramm Müll ein, da gehört auch der Prozess mit der Sortierung dazu. So investieren wir mit diesem einen Euro auch in die lokale Infrastruktur, in lokale Arbeitsplätze. Und das funktioniert ganz gut.

 

Ein everwave-Boot sammelt Müll in einem Fluss

Auf der Kieler Woche habt ihr mit dem Unternehmen HASYTEC aus Kiel [Ultraschall-Antifouling für Schiffe] zusammengearbeitet. Was habt ihr da gemacht?

Zusammen mit HASYTEC und Torqeedo aus Bayern [Elektromotoren für Boote] haben wir während der Kieler Woche pro gesegelter Seemeile zwei Kilogramm Müll aus Gewässern weltweit gesammelt. Das war perfekt für alle, die beiden Unternehmen hatten damit eine super coole Geschichte zu erzählen, vor Ort und auch über ihre Medienkanäle. So hat das Unternehmen auch etwas davon, nämlich Sichtbarkeit in dem Bereich Nachhaltigkeit. Warum nicht darüber reden, wenn man etwas Gutes tut? 

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„So haben sie immer interessante Geschichten zu erzählen und zum Beispiel auch Content für eine eigens eingerichtete Landingpage.“
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Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit MyMuesli, die kooperieren ja auch mit euch und haben ein „Save the Ocean Müsli“ im Angebot.

Ein sehr gutes Beispiel ist MyMuesli. Die haben sich intern sehr lange damit beschäftigt, wie man die Verpackung plastikfrei gestalten kann. Sie gehen sehr offen damit um, dass der Verzicht auf Plastik das Mindesthaltbarkeitsdatum ihrer Produkte deutlich verkürzt. Die Frage ist also: Produziere ich Lebensmittelabfälle oder Plastikabfälle? Die Antwort ist nachvollziehbar, dass sie ihr Produkt langlebig gestalten müssen. Aber dann hat MyMuesli gesagt, okay, wir können das aktuell nicht ändern. Wir kompensieren unseren Müll über everwave – und und so haben sie mit uns schon über 240.000 Kilo Müll gesammelt. Der Auftrag lautet: Sammelt das bitte an anderer Stelle ein. So haben sie immer interessante Geschichten zu erzählen und zum Beispiel auch Content für eine eigens eingerichtete Landingpage. Dort kann man auch die Konsumentinnen und Konsumenten hervorragend einbinden.

Ein letztes Highlight, das du letztens auf LinkedIn gepostet hast: Eine Kooperation mit Paulaner in Singapur. Erzähl doch mal, was da passiert ist ...

(lacht) ... ja, wir haben hauptsächlich Projekte in Südostasien und das wird auch weiterhin unser Zielmarkt bleiben, weil acht von zehn verschmutzten Flüssen der Welt in Südostasien liegen. Wir wollten nun schauen, ob wir auch Unternehmen aus der Region für uns gewinnen können. Damals gab es ein Programm der deutschen Bundesregierung, das Start-ups den Markteintritt in Singapur ermöglichte. Wir haben letztes Jahr daran teilgenommen und es war großartig. Im dem Zuge habe ich tatsächlich die Leiterin der Brauerei dort kennengelernt – und die hat direkt gesagt, ach, ist doch geil, lass uns doch einen New Wave Beer machen. Der Slogan ist „sip & save our rivers“, also auch cool zu kommunizieren und auffordernd. Die Leute werden eingebunden. Sieht mega aus. Macht mich immer noch unglaublich stolz. Da bringt eine Brauerei dein Logo auf die eigenen Flaschen, das ist ja deren höchste Markengut.

Das everwave-Team auf einer Wiese

 

Nun kommt im August 2025 das weltbekannte Ocean Race mit der Kombination Segeln und Meeresschutz nach Kiel und auch viele Partnerunternehmen sind da mit an Bord, die ein Interesse haben, ihr Nachhaltigkeits-Engagement darzustellen.

Ich denke, es gibt wenig bessere Anlässe, das zu verbinden, denn Seglerinnen und Segler sind aware mit dem Problem Müll in den Ozeanen. Diese Sensibilisierung bietet Unternehmen die Chance, sich dort positiv zu positionieren und eine außergewöhnliche Geschichte zu erzählen. 

 

Das Ocean Race ist auch für uns eine super inspirierende Plattform. Vielleicht gibt es wieder eine Kooperation, wie zum Beispiel ein Kilo Müll pro gesegelter Seemeile. Oder vielleicht hat einer der Team-Sponsoren Lust, uns mit aufs Boot zu nehmen und sichtbar zu machen. Wir sind super flexibel, wir haben einfach Lust, einen positiven Beitrag zu leisten und Unternehmen die Möglichkeit zu geben, mit ihrem Engagement sichtbar zu werden.

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Das Interview führte Ralf Löwe, Communication & Commercial The Ocean Race Europe/Kiel

 

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