Ein Albatros über dem Meer

INTERVIEW: Mirko Gröschner, The Ocean Race 1973 S.L., Alicante
 


„Meeresschutz haben wir ganz oben auf unsere Agenda gesetzt.“

 

 

Mirko Gröschner ist bei The Ocean Race 1973 verantwortlich für die Entwicklung der Routenplanung, die Akquise und das Management der Host Cities sowie für das Marketing und den Technologiebereich. Für uns als Starthafen Kiel des The Ocean Race Europe 2025 ist er damit einer der wichtigsten Ansprechpartner bei unseren Planungen. Wir sprachen mit Mirko über seinen Job, über Momente im Race, die kein Drehbuchautor spannender hätte schreiben können, über Nachhaltigkeit und Meeresschutz und über ein Boot, das 34 Tage lang verschollen war.

 

 

Kiel-Marketing: Mirko – Routenplanung, Akquise, Management, Marketing, Technologie … du hast ein breites Aufgabenfeld.

Mirko Gröschner: Ja, aber das hängt alles sehr eng zusammen. Im Kern geht es darum, Werte für das Ocean Race im Event- und Markenbereich zu schaffen.

Das klingt, als kämst du eher aus dem Marketingbereich als von Deck eines Segelbootes.

Ich bin Sportmarketer und das schon seit rund 25 Jahren. Angefangen habe ich eigentlich in der Formel 1 mit BMW, dann hatte ich das Glück, mit BMW Oracle Racing in den Americas Cup zu kommen, wo ich viele Jahre aktiv war. Auf Teamseite als Event Promotor, als Agentur und ich habe eigentlich alle Facetten des professionellen Segelsports kennengelernt.

Mirko Gröschner auf einer Bühne

 

Jetzt bin ich seit knapp drei Jahren im Ocean Race. Schon bei meinen America’s Cup Stationen habe ich viel vom Ocean Race gehört, da in der Vergangenheit viele Segler zwischen den beiden Wettbewerben hin- und herwandern. Unser damaliger Skipper und CEO bei BMW Oracle, Chris Dickson, hat einige Ocean Races bestritten und eigentlich lieber über das Rennen gesprochen, als über den America’s Cup. So habe ich schon vor vielen Jahren die Faszination sehr authentisch vermittelt bekommen.

Dann bist du jetzt im richtigen Hafen gelandet.

Ja, es ist eine spannende Aufgabe hier und es ist ein tolles Team. Es macht irrsinnig viel Spaß.

Beim Ocean Race geht es einerseits um einen High Performance Sport, andererseits um das große Thema Meeresschutz. Es geht ums Race und um „A race we must win“. Also eine sehr enge Verknüpfung beider Themen und etwas, was das Ocean Race offenbar tatsächlich sehr ernst nimmt. Das ist in Zeiten von Greenwashing nicht selbstverständlich.

Weil wir in der Tat ein echtes Problem mit unseren Meeren haben, dessen sich viele nicht bewusst sind. Allein die Tatsache, dass der größte Teil der aktuellen Erderwärmung vom Meer aufgenommen wird, was unter anderem dazu führt, dass das Meer immer wärmer wird. Die ganze Artenvielfalt verändert sich. Oder das Thema Plastikmüll, denn die Verschmutzung erleben unsere Segler, wenn sie um die Welt segeln. Oder sie sehen, dass es immer weniger Albatrosse im Südpolarmeer gibt. Sie merken natürlich auch, dass sich die Eisberggrenze weiter nach Norden verschiebt und dass es mehr Eisberge gibt, weil durch die Klimaerwärmung die Eisberge abbrechen und weiter nach Norden treiben. Das erleben die Teams hautnah und wir als betreuende Organisation natürlich auch. Meeresschutz ist deshalb eine Aufgabe, die wir sehr ernst nehmen und ganz oben auf unsere Agenda gesetzt haben. Wir müssen etwas tun, um die Meere nicht nur zu schützen, sondern sie möglichst wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen. Das Ocean Race Europe, das wir im August 2025 in Kiel starten, steht ganz im Zeichen verschiedener Nachhaltigkeitsmaßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen, für die wir als Plattform für alle Stakeholder fungieren und auch selbst einiges tun.

In Kiel wird es im Rahmen des Startevents einen Meeresschutz-Summit geben, verschiedene Panels und darüber hinaus wird das Thema im Ocean Live Park an der Kiellinie einer breiten Öffentlichkeit näher gebracht.

Oft ist das Wissen über die Funktion und Rolle der Weltmeere in der Bevölkerung gar nicht oder nur rudimentär vorhanden. Die Menschen wissen in vielen Fällen gar nicht, welche Rolle die Ozeane spielen und sehen das eigentlich nur, wenn sie in den Wetternachrichten von irgendwelchen Naturereignissen hören oder von Starkregen, der letztlich auf die Erwärmung der Weltmeere zurückzuführen ist. Die Menschen in den Küstenregionen haben eine höhere Sensibilität für das Thema, weil sie direkt betroffen sind. Unsere Aufgabe ist es vor allem, auch die vielen anderen Menschen im Landesinneren zu sensibilisieren. Das Thema Ozean und Meeresschutz begreifbar zu machen und vor allem auch zu zeigen, welche Veränderungen es gibt. 

Es geht um das Handeln der Menschen, um die Folgen, die sich daraus ergeben, von der globalen Erwärmung bis hin zur starken Verschmutzung durch Plastikmüll. Man muss sich vorstellen, dass wir jede Woche Plastik in der Größe einer Kreditkarte essen, weil es so viel Mikroplastik in den Meeren gibt.

Wie macht man das sichtbar? Wie stellt man sicher, dass die Menschen das erkennen und wissen, wo das herkommt? Dafür haben wir ein sehr starkes, wissenschaftlich orientiertes Programm. Wir nutzen die Boote um dort mit entsprechenden Geräten Wasserproben zu nehmen, die von Wissenschaftlern analysiert werden. Denn unsere Boote fahren in Gebiete, in die sonst niemand kommt, und deshalb sind diese Proben so wertvoll. So können Untersuchungsreihen in Gebieten durchgeführt werden, in die sonst kein Mensch vordringt.

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„Das Ocean Race geht über sechs Monate, es ist kein Fußballspiel über 90 Minuten.“
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Einige der Geräte an Bord sind Entwicklungen des Geomar in Zusammenarbeit mit Kieler Firmen, es gibt Drifterbojen, Argofloater und vieles mehr. Ich finde es erstaunlich, dass sich die Teams in diesem Hochleistungssport, in dem letztlich um jede Seemeile gekämpft wird, die Zeit nehmen, Proben zu nehmen oder Bojen zu setzen. In der Formel 1 wäre es kaum vorstellbar, dass während des Rennens Luftproben genommen werden.

Weil unser Sport anders ist. Und das ist auch das Schöne daran. Wir haben diese Kurzfristigkeit des Hochleistungssports bei uns in Long Distance, in ein Langstreckenrennen, übersetzt. Das Ocean Race geht über sechs Monate, es ist kein Fußballspiel über 90 Minuten. Das ist das Einzigartige an dieser Serie und an diesem Sport. Es gibt Momente, da segelt man nur bei wenig Wind über das Meer, und es gibt Momente, da brettern die Teams mit 70, 80 Sachen über den Atlantik. Aber wenn man so viel Zeit mit sich selbst und mit dem Meer verbringt, nimmt man es anders wahr und vor allem kann man dann auch ein bisschen etwas zurückgeben. Und das ist das Spannende und Tolle am Ocean Race.

Interessant ist auch, dass nicht nur in den Ocean Live Parks der Host Cities das Thema Meeresschutz für ein breites Publikum aufbereitet wird, sondern dass wir alle online rund um die Uhr verfolgen können, was bei den Teams an Bord los ist.

In der heutigen Zeit findet alles im Hier und Jetzt statt und jeder will jederzeit alles genau wissen und immer ganz nah dran sein – live. Diesem Gedanken tragen wir Rechnung und auch die Teams, indem sie Satellitengeräte an Bord haben, die heutzutage mit Highspeed-Internetverbindungen die Daten, Bilder, Videos in perfekter Qualität live zeigen. Da ruckelt nix.

Kleiner Fun Fact dazu: Wir haben mal ein bisschen in der Historie des Rennens gegraben und in einer Broschüre von 1973 einen Bericht gefunden, dass damals eines der Teams auf dem Rückweg nach England für 34 Tage verschollen war. Heute sitzen wir in Alicante im Race Control Room, wo alle Telemetriedaten der Boote in Echtzeit auf Bildschirmen zusammenlaufen. Wir wissen genau, wann gewendet wird, wann mit welcher Geschwindigkeit geheizt wird, und wenn 30 Sekunden lang etwas nicht stimmt, dann geht's los! Und 1973 war eines der Boote 34 Tage lang einfach verschwunden. Man hatte keine Funkmeldung mehr von denen. Die wurden dann gesucht, indem man alle Boote im Umkreis angefunkt hat und gesagt hat, wenn ihr ein Boot seht, gebt Bescheid. Als die dann gefunden wurden, haben die sich gewundert und gesagt, hey, klar, wir sind noch im Rennen, wir geben Gas! Damals konnte man einfach abtauchen, war einen Monat nicht zu sehen.

Heute ist man immer mittendrin und kann diese tollen Geschichten live miterleben. Etwas von dieser übermenschlichen Leistung an Land zu bringen, damit die Menschen ein Gefühl dafür bekommen, was die Mädels und Jungs auf den Booten leisten.

Ich habe beim Race 2022/23 mit vielen Leuten gesprochen, die sonst nichts mit Segeln zu tun haben, die es aber total spannend fanden und das Race über den Tracker und die Social Media-Kanäle verfolgt haben. Die gesehen haben, wie Rosalin aus der Koje gepurzelt ist, wie sie auf der Malizia in den Mast klettern mussten, um den Riss zu reparieren, dieses ikonische Bild von Will Harris, der nach ein paar Stunden Arbeit in 30 Meter Höhe im Mast seine schwarzen Hände in die Kamera hält. Oder die Mastbrüche, die ganze Unglücksserie vom Team Guyot bis zum Crash vor Den Haag. Das hat die Leute einfach mitgerissen.

Das Ganze ist so ein jahrhundertealter Traum der Menschheit, einmal um die Welt zu segeln. Wir haben ja diesen Planeten, auf dem wir alle sind, und jeder Kontinent ist von Wasser umgeben. Man hatte schon als Kind diesen Traum, zu sagen, ich komme da irgendwie hin.

Früher war das viel komplizierter, als es noch keine Flugverbindungen gab. Heute sind wir in 12 Stunden am anderen Ende der Welt, aber das Schiff braucht 20 Tage oder länger. Und wenn etwas passiert, gibt es keine Hilfe. Es ist nicht wie in den Bergen, wo dann ein Hubschrauber kommen kann. Man ist auf sich allein gestellt. Der Mensch und das Meer. Da merkt man dann, dass man in einer Zeit, wo alles superschnell und vernetzt ist, dass man da völlig alleine ist und im Grunde genommen erst in Wochen mit Rettung rechnen kann. Naja, das ist so ein übergeordneter Gedanke, der da reinkommt, der das Ganze auf neudeutsch „scary“ macht. Man hat einfach Respekt davor, was die Teams tatsächlich leisten, wie sie sich auch überwinden müssen, um diesen Gefahren zu begegnen.

EinSegler zeigt seine verschmutzten Hände

 

Welche Momente sind dir besonders in Erinnerung geblieben, wo habt ihr alle in Alicante mitgefiebert?

Was mir persönlich sehr nahe gegangen ist, war natürlich die ganze Sache mit Robert Stanjek und dem Team Guyot, das co-gemanagt wurde von Jens Kuphal. Die sind in Kapstadt gestartet, haben es dann nicht über den Southern Ocean geschafft, weil sie Probleme mit dem Boot hatten, und mussten umkehren. In Itajaí waren sie wieder dabei, dann Mastbruch. Dann haben sie sich wieder aufgerappelt, und dann zum Schluss der Crash vor Den Haag mit dem späteren Sieger 11th Racing. Diese ganze Geschichte, auch diese ganze menschliche Dimension für das Team, das die ganze Zeit hart gearbeitet hat, das immer wieder auf die Beine gekommen ist. Kein Drehbuchautor hätte das dramatischer schreiben können. Da muss ich den Hut ziehen, wie das ganze Team das immer wieder geschafft hat … und am Ende verloren hat. Das hat mich mit am meisten berührt.

Dann muss dich noch etwas ganz anderes begeistert haben: das Fly-by in Kiel mit 120.000 begeisterten Menschen an den Ufern und rund 3.000 Booten auf der Kieler Förde. Hast du damit gerechnet?

(lacht) Also ganz ehrlich, das hat mich nicht überrascht. Die Sportbegeisterung, die wir in Deutschland und speziell in Kiel für den Segelsport haben, ist einfach überragend. Ich bin seit fast 20 Jahren mit Segelsport-Events in Kiel. Für mich ist Kiel wirklich die Welthauptstadt des Segelsports. Wir Deutschen machen uns ja immer sehr, sehr klein und sagen, na ja, im Weltmaßstab spielen wir gar keine Rolle. Ja und? Und gleichzeitig bewegen wir da wirklich Massen, weil die Leute den Sport lieben, weil sie die Komplexität des Segelns lieben. Das sieht man, wenn man sich die Statistiken anschaut. Deutschland ist bei allen internationalen Veranstaltungen immer unter den Top Fünf, hat online die höchste Nachfrage im Bereich Social Media.

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„Wir haben eine ganze Reihe Bewerbungen von Städten aus ganz Europa. Aber nicht alle Städte erfüllen unseren Kriterienkatalog.“
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Deshalb freuen wir uns umso mehr, dass Kiel Starthafen des Ocean Race Europe 2025 wird. Weil wir diese Begeisterung natürlich kennen. Und weil wir wissen, dass es kommendes Jahr im Vergleich zum Fly-by noch spektakulärer wird, weil die Boote und Teams direkt an der Kiellinie im Ocean Live Park sein werden und die Menschen ganz nah dran sind.

Das ist uns auch ein ganz, ganz großes Anliegen. Wir werden es möglich machen, dass die Fans und die Besucher ganz nah an die Boote herankommen. Wir werden schauen, dass wir die Teams an Land bekommen, dass man die Leute kennenlernt, dass man gemeinsam etwas machen kann, mit Fotos, mit Autogrammen, mit Panels und Speakern. Wir wollen die Nahbarkeit zum Sport unter Beweis stellen und auch da ein bisschen was zurückgeben.

Eine Seglerin und ein Segler mit einem technischen Gerät

 

Für Kiel klingt es wie ein Selbstgänger, aber es ist gar nicht so einfach, Host City zu werden. Wie geht ihr bei der Auswahl der anderen Host Cities vor?

Zum einen braucht man eine Vision für die Route, was will ich mit dem Rennen erreichen? Zum anderen hat man nur einen bestimmten Zeitraum, in dem das Rennen stattfinden kann. Das Briefing lautete sechs Wochen, damit die Boote rechtzeitig wieder in Frankreich und für die nächste Regatta bereit sind. Der Regattakalender gibt uns also einen bestimmten Zeitslot vor.

Wir haben eine ganze Reihe Bewerbungen von Städten aus ganz Europa. Aber nicht alle Städte erfüllen unseren Kriterienkatalog. Zum Beispiel technische Kriterien, damit wir die Boote in die Häfen rein bekommen oder dort aus dem Wasser heraus bekommen, wenn sie gewartet oder im Notfall repariert werden müssen. So ein IMOCA hat mit den Foils eine Spannweite von 18 Metern und einen Tiefgang von fünf Metern. Wenn du zehn Boote hast, brauchst du 180 Meter Pontonlänge, damit alle Boote dort anlegen können, und das bei einer Wassertiefe von plus fünf Metern. Außerdem müssen die Häfen auf der Rennstrecke liegen, und aus dem Zielhafen müssen die Boote rechtzeitig wieder dorthin gelangen können, wo das nächste Rennen startet. Weitere Kriterien betreffen die Besucherströme, die Unterbringungsmöglichkeiten, die Medienanforderungen etc. pp. Wenn man den ganzen Kriterienkatalog erfüllt und auch das entsprechende Commitment mitbringt, dann hat man gute Chancen, ausgewählt zu werden.

Wir sehen uns im nächsten Meeting – und spätestens im August 2025 in Kiel!

Ich freue mich riesig auf den Start, denn wie gesagt, Kiel ist die Welthauptstadt des Segelns mit einer riesigen Begeisterung. Natürlich haben wir mit Boris Herrmann und dem Team Malizia einen echten Publikumsmagneten. Aber wir freuen uns auch im Bereich Meeresschutz mit ganz, ganz vielen Menschen ins Gespräch zu kommen, mit Organisationen, mit politischen Entscheidungsträgern in Stadt, Land und auch auf Bundesebene zu sprechen und etwas für unsere Meere zu tun.

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Das Interview führte Ralf Löwe, Communication & Commercial The Ocean Race Europe/Kiel

 

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