Rosalin Kuiper steht vor dem Meer mit verschränkten Armen

INTERVIEW: Rosalin Kuiper, Skipperin Holcim-PRB
 


„Ich kann den Start nächstes Jahr in Kiel kaum erwarten!“

Es ist 6:30 Uhr, gerade krabbelt eine Familie vom Morgenbad aus dem Hafenbecken vor dem Kieler Yacht Club und geht an Bord ihrer Yacht. Nur ein paar Stunden zuvor habe ich erfahren, dass ich Rosalin Kuiper, die designierte Ocean Race Europe-Skipperin von Holcim-PRB, interviewen kann. Etwas müde aber mit einer Trost-Orange mit krakelig draufgemaltem Smiley als Gastgeschenk in der Hand, weil Oranje gestern Abend das EM-Spiel verloren hat, freue ich mich wie Bolle auf das Gespräch. Ich sprach mit Rosalin über Respekt, Humor und gemeinsame Wellenlängen an Bord. Und wie sehr sie sich auf den Start des Ocean Race Europe in Kiel 2025 freut.

Kiel-Marketing: Oranje hat das Spiel gestern Abend verloren. Wie schafft man es in einem Race, sich wieder zu pushen, um das nächste Spiel zu gewinnen, wenn man müde und abgekämpft ist?

Rosalin Kuiper: Uh, das ist eine gute Frage. Wie bekommt man wieder Energie zurück, wie kann man wieder Leistung bringen? Ich glaube, das ist die Athletin in mir und der Athlet in meinen Crew-Kollegen. Egal wie müde man ist, man kämpft sich durch. Natürlich gibt es Zeiten, in denen man lange auf See ist, das Boot ständig in die Wellen schlägt und wo man wirklich erschöpft ist. Aber dann siehst du, wie die anderen kämpfen, und das pusht dich. Es geht darum, als Team zusammenzuarbeiten, sich gegenseitig hochzuziehen und weiterzumachen. Wir alle lieben, was wir tun. Ich bin eine leidenschaftliche Seglerin, aber ich bin auch eine echte Athletin. Ich will einfach immer gewinnen. Solange man körperlich in der Lage ist, gibt man alles, was man hat, um das Beste rauszuholen.

Rosalin und Oranje

Du hast Psychologie studiert mit dem Schwerpunkt „Teambuilding im High-Performance-Sport“. Nun befinden sich fünf Personen auf engstem Raum an Bord einer Rennyacht. Das ist nicht nur eine körperliche, sondern auch eine mentale Herausforderung. Du hast einmal gesagt, dass der gegenseitige Respekt trotz aller Unterschiede wichtig ist, ebenso wie Humor und Spaß.

Ja, das ist die Grundlage für den Erfolg beim Offshore-Segeln. Ich meine, wenn man so viele Tage zusammen auf dem Wasser verbringt, wie zum Beispiel im Südpolarmeer, als wir von Kapstadt nach Itajaí segelten, muss man genießen, was man tut. Auf dem Boot haben wir alle gemerkt, wie deprimierend die Tage manchmal sein können. Wenn es grau ist, wenn es kalt ist, wenn es stürmisch und regnerisch ist. Aber wenn man immer auch die spaßige Seite sieht, wenn man immer wieder Jokes macht, wenn man sich gegenseitig auf die Schippe nimmt, dann merkt man, in welch absurder Situation man sich eigentlich befindet. Dann kann man es richtig genießen. Und dann lacht man auch darüber. Wenn man das nicht tut, macht es einen fertig.

Das andere, der Respekt, ist super wichtig. Generell ist es im Leben wichtig, dass man Respekt voreinander hat. Vor allem, wenn man zusammen auf ein paar Quadratmetern wohnt, muss man Respekt voreinander haben. Ohne das kann man kein professioneller Segler sein. Und ich habe persönlich die Erfahrung gemacht, dass eine bunte Mischung von Menschen wirklich wichtig ist. Ich glaube absolut an diese Gruppendynamik zwischen verschiedenen Geschlechtern und auch verschiedenen Altersgruppen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man, wenn man mit vielen unterschiedlichen Kulturen segelt, wie beim letzten Ocean Race, automatisch etwas mehr toleriert, als wenn man zum Beispiel nur mit seiner eigenen Nation segelt. Ja, das bringt eine andere Stimmung mit sich. 

Das ist interessant. Ich bin erst vor vier Wochen zum Kiel-Marketing-Team gestoßen und sitze mit drei Kolleginnen in einem Raum. Wir haben einen tollen Draht zueinander, respektvoll und witzig, da kann ich gut verstehen, was du meinst. 

Ganz genau. Wenn man Spaß an den Dingen hat, die man jeden Tag tut, ist man viel eher bereit, die Extrameile zu gehen. Spaß im Leben ist so wichtig, man bekommt diese Endorphine, man fühlt sich glücklich. Und ich glaube wirklich, dass man mit Spaß bei der Arbeit mehr leisten kann.

Man sollte so open-minded sein wie du?

Super open-minded. Manchmal hat jemand in deinem Team einen schlechten Tag und man versteht vielleicht nicht so richtig, warum, aber man muss es akzeptieren. Und man muss die Gefühle der Person respektieren, die sich in diesem Moment so verhält. Ich denke, das ist es, was man beim Segeln tut. Im Offshore-Racing ordnet man seine eigenen Bedürfnisse den Bedürfnissen des Teams unter. Eigentlich ist man als Person, so blöd es klingt, nicht wichtig. Die Bedürfnisse des Teams sind wichtig.

In Kiel haben wir ein Sprichwort: „Der Fisch stinkt vom Kopf“. Du bist mit dem Team Malizia unter dem Skipper Boris Herrmann gesegelt. Was für eine Art Leader ist er?

Er ist ein ganz besonderer Anführer. Er ist ein ausgezeichneter Segler und ein sehr interessanter Mensch.

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„Es ist ja nicht so, dass man mit den Fingern schnippt und schon ist man in der Position, in der ich jetzt bin.“
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Du bist die designierte Skipperin der Holcim-PRB-Kampagne und stellst ein Team zusammen. Da dir Diversität wichtig ist: Hast du schon eine Idee, welche Leute du auswählen wirst?

Ich habe Ideen, wie ich das Team zusammenstellen kann. Aber zum Glück bin das nicht nur ich allein. Im Moment haben wir zwei Skipper, Nicolas Lunven, einen französischen Skipper, und mich. Nicolas bereitet sich gerade auf die Vendée Globe im November vor. Und ich arbeite bereits hinter den Kulissen für das Ocean Race Europe 2025, das ja in Kiel startet. Natürlich unterstütze ich ihn auf seiner Tour. Ich bin sehr froh, dass sich das Team jetzt auf die Vendée Globe konzentriert, damit er einen perfekten Start hinlegt.

Hättest du selbst Interesse, die Vendée Globe zu segeln? Ich meine, jetzt, wo du schwanger bist, wäre es im Moment vielleicht nicht die beste Idee …

Gute Frage ... Ich denke, die Vendée Globe ist ein ganz anderes Rennen als zum Beispiel das Ocean Race, bei dem man mit mehreren Leuten auf einem Boot segelt. Naja, never say never, aber was ich wirklich mag, ist der Teamspirit. Ich mag es einfach, mit anderen Menschen zu segeln. Ich mag es, die Kraft zu spüren, wenn man weiß, dass eine andere Person einem Energie geben kann, jemanden aufzurichten, und was man dann als Team alles schaffen kann. Das treibt mich an. Im Moment würde ich sagen, dass es für mich einfach fantastisch ist, mit einem Team zu segeln, aber man weiß ja nie. Vielleicht ändere ich meine Meinung eines Tages.

Die Kieler Seglerin Sanni Beucke sagte in unserem Interview, dass Segeln eine Männerdomäne sei und dass man als Frau immer doppelt so hart arbeiten müsse wie ein Mann, um im Segeln erfolgreich zu sein. Wie schaffst du das?

Die Segelszene ist generell von Männern dominiert. Ich persönlich bin sehr dankbar für die Möglichkeit, ein Team als Skipperin zu führen und damit ein bisschen Abwechslung und frischen Wind in unseren Sport zu bringen. Ich bin sehr glücklich mit meinen Sponsoren Holcim und PRB, die mich dabei unterstützen. Natürlich ist es sehr selten, dass da eine schwangere Skipperin ist, aber sie stehen der Sache sehr positiv gegenüber. Im Sport generell kann ich sagen, dass wir noch nicht so weit sind. Aber wenn man sich die letzten Jahre ansieht, denke ich, dass der Sport langsamer offener für Frauen wird. Es gibt immer mehr Diversität, aber ich sehe es trotzdem als meine Aufgabe an, weiter zu gehen. Dafür zu kämpfen und den Weg für diejenigen zu ebnen, die nach mir kommen. Es ist ja nicht so, dass man mit den Fingern schnippt und schon ist man in der Position, in der ich jetzt bin. Aber ich sehe definitiv eine Veränderung im Sport, eine offenere Haltung gegenüber der Vielfalt.

Nicht nur im Sport, sondern hoffentlich auch im Unternehmensbereich.

Ja, auf jeden Fall. Aber ich glaube, der Segelsport hinkt ein paar Jahre hinterher.

Sanni Beucke

Während des letzten Ocean Race hattest du viel Spaß mit Antoine [Auriol, Bordreporter der Malizia], du hast mit ihm Yoga gemacht und was du an Antoine mochtest, waren seine spirituelle Art und Naturverbundenheit. Fühlst du dich auch mit dem Meer verbunden, wenn du lange Zeit auf den Ozeanen segelst?

Ja. Sehr. Auf dem Boot waren Antoine, Boris und ich ein bisschen auf der gleichen Wellenlänge. Ich glaube, wir sind sehr, sehr sensibel für diese Schwingungen. Wir haben auch viel darüber gesprochen. Boris und ich haben sogar mitten auf dem Südpolarmeer einen Podcast gestartet. Um deine Frage zu beantworten: Ja, man fühlt sich sehr mit der Natur verbunden, und ich habe wirklich das Gefühl, dass die Tage, die wir auf dem Wasser verbracht haben, wie auf einem anderen Planeten waren. Man ist buchstäblich nicht auf dieser Erde, man lebt im Rhythmus des Ozeans. Es ist magisch. Ich habe mich völlig geöffnet. Nun... es ist schwer zu erklären, aber ich glaube, ich hatte wirklich die Möglichkeit, alles um mich herum in mich aufzunehmen, den Geruch des Meeres, den Rhythmus der Ozeane, die Tiere, die da waren, die Sterne am Himmel.

Ich las einmal beim Segeln auf einer eher gemächlich segelnden Brigantine das Buch Die Entdeckung der Langsamkeit von Sten Nadolny*, alles war entschleunigt und alles wurde eins, segeln, lesen …

Ich meine, das Leben auf See kann sehr hart sein, das Leben an Bord ist nicht sehr komfortabel. Aber auf der anderen Seite ist es so simpel: Du segelst, isst, schläfst und gehst auf die Toilette, that’s it. Es ist sehr einfach. Und das gibt dir die Möglichkeit, dich zu öffnen und die Umgebung zu absorbieren. Vielleicht war es deshalb so schwer für mich, mich nach dem Rennen wieder in die Gesellschaft an Land einzufügen, mich wirklich einzuleben und meinen Platz zu finden. Unmittelbar nach dem Rennen habe ich acht Kilo abgenommen. Ich war auch damit beschäftigt, ein Haus zu renovieren, aber ich konnte mich nicht wirklich an die Routine gewöhnen, die wir an Land hatten.

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„Beim Segeln kann man keine Maske tragen.“
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Wie lange dauert es, bis man wieder in der realen Welt angekommen ist?

Ich denke, mindestens ein halbes Jahr. Ich habe mit Will [Harris, Crewmitglied auf der Malizia beim Ocean Race 2022/23] gesprochen, als ich ihn letzte Woche gesehen habe. Es ist ein Jahr nach dem Rennen, und er sagte, ich habe mich noch nicht vollständig erholt, und ich meinte nur, ich auch nicht. Aber ich bin jetzt schwanger, also weiß ich es nicht genau (lacht).

Nicht erholt meint mental?

Ja, mental. Aber auch physisch. Einfach weniger Energie. Ich glaube, es hat viel gekostet.

Fällt es dir leichter, dich für den Meeresschutz zu engagieren, wenn du das Gefühl hast, mit dem Meer eins zu sein?

Auf jeden Fall. Während des Rennens war ich wirklich berührt von der Kraft des Ozeans. Es hat mein Herz zum Brennen gebracht, dass man so eine kleine Flamme in sich hat, man spürt, dass man lebendig ist. Aber man sieht auch, wie verletzlich die Ozeane sind, und dann wird einem immer mehr bewusst, was wir Menschen dem Meer antun. Das ist nicht gut, weißt du? Das hat mir den Antrieb gegeben, mich für die Ozeane einzusetzen und meine Stimme als Seglerin zu nutzen, um darauf aufmerksam zu machen. Wir können dem Meer eine Stimme geben und unsere Erfahrung teilen. Wir haben so viel Zeit auf dem Ozean verbracht, und je mehr ich mich damit beschäftige, desto mehr lerne ich: all die Wissenschaft, all die Forschung, die wir betreiben, aber es gibt noch so viel zu entdecken. Es liegt mir sehr am Herzen, das mit den Menschen zu teilen, von den Erlebnissen zu berichten und auch die Kinder einzubeziehen. Um wirklich etwas Gutes zu tun.

Du scheinst ein sehr authentischer Mensch mit viel Humor zu sein, und viele Fans mögen das und folgen dir auf Social-Media. Beim letzten Race sagtest du, dass nicht nur die spektakulären Szenen vom Boot gezeigt werden sollten, sondern auch die verschwitzten Unterhosen und die kaputten Segler. Was hältst du von einer 24/7-Berichterstattung von den Booten? Würde es die Segler nicht in gewisser Weise verletzlich machen, wenn jeder zu jeder Zeit alles sehen kann?

Nun, ich bin einfach, wer ich bin, und ich lebe mein Leben so, wie ich es leben möchte. Beim Segeln kann man keine Maske tragen. Man kann sich auf einem Boot nicht verstecken, und was noch wichtiger ist, man kann sich nicht vor dem verstecken, was man ist. Wenn man einen normalen Job hat und man mal traurig oder wütend oder müde ist, kann man eine Maske aufsetzen, wenn man zur Arbeit geht, und dann abends zu Hause jammern, oder? Aber auf dem Boot geht das nicht. Ich denke, es kommt darauf an, wie man mit solchen Situationen umgeht, das ist weder richtig noch falsch. Das ist einfach, wer man ist. Das ist menschlich. Für mich ist es in Ordnung, das zu teilen. Wenn die Leute daraus etwas Interessantes oder Inspiration ziehen, umso besser.

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„Es ist absolut fantastisch, dass es so viele begeisterte Zuschauer in Kiel gibt! Verrückt und fantastisch. Und es macht mega Lust auf den Start des Rennens im August 2025!“
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Wir leben in einer von Bildern dominierten Welt. Ich sehe immer noch gerne all die Fotos und Videos vom Kiel Fly-by im Juni 2023. Welche Gefühle hattest du an Bord, als ihr in die Kieler Förde reingesegelt seid? Es waren mehr als 120.000 Menschen am Ufer, mehr als 3.000 Boote auf dem Wasser, einfach überwältigend.

Das – war – the – next – level! Es war total verrückt. Es war der Wahnsinn im Vergleich zu allen anderen Häfen, in denen wir davor waren. Natürlich ist jeder Hafen etwas Besonderes, aber dieser war wirklich ein anderes Level mit Hunderten von Booten auf dem Wasser. Ich war froh über all die Patrouillenboote, die uns den Weg freimachten, weil wir auf unseren Foils und mit großer Geschwindigkeit fuhren. Ich fühlte mich wie in einer anderen Welt, weißt du. All diese Menschen an Ufern. Es ist absolut fantastisch, dass es so viele begeisterte Zuschauer in Kiel gibt! Verrückt und fantastisch. Und es mach mega Lust auf den Start des Rennens in Kiel im August 2025! 

Deshalb heißt Kiel ja auch Kiel Sailing City. Viele Menschen hier mögen das Segeln, selbst, wenn sie kein eigenes Boot haben, sie mögen es. Es ist eine Art Lifestyle, denn egal wo man in Kiel ist, alles ist nah am Wasser. Ich denke, in den Adern der Menschen hier fließt Meerwasser.

Um ehrlich zu sein, kann ich den Start nächstes Jahr hier in Kiel kaum erwarten. Es wird ein super, super Start werden. Yeah!

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Das Interview führte Ralf Löwe, Communication & Commercial The Ocean Race Europe/Kiel

 

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*„Die Entdeckung der Langsamkeit“ (1983). Sten Nadolny beschreibt, wie der englische Kapitän und Polarforscher John Franklin, der wegen seiner Langsamkeit immer wieder Schwierigkeiten hat, mit der Schnelllebigkeit seiner Zeit Schritt zu halten, schließlich aufgrund seiner Beharrlichkeit zu einem großen Entdecker wird.

Die Entdeckung der Langsamkeit

 

Rosalin Kuiper auf Instagram

Team Holcim-PRB: www.go-circular.com

 

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